Zurück zu sich selbst

Yoga ist so erfolgreich, weil es nicht nur die körperliche Fitness fördert. Es hilft dem Geist, bringt Gelassenheit und nützt auch im Alltag.

„Yoga hilft, ein erfüllteres Leben zu haben“, sagte der Pop-Star Sting einmal. Er wird gerne zitiert, wenn es um die Wirkung von Yoga geht. Der erfolgreiche Musiker praktiziert seit vielen Jahren Yoga, und seine Frau Trudie Styler hat mehrere erfolgreiche Yoga-DVD herausgebracht. Besonders jetzt, wo er älter werde, helfe ihm Yoga dabei, achtsamer zu werden und die Verbindung zwischen Körper und Geist zu verstehen.

Yoga kann tatsächlich dazu führen, dass man sich selber besser kennenlernt, achtsamer und gelassener wird. Doch dafür ist eine Erkenntnis wichtig: Yoga ist nicht einfach Gymnastik. Das wird heutzutage gern vergessen. Durchtrainierte, meist junge Menschen in unglaublichen Stellungen und Verbiegungen prägen das heutige Bild. Yoga ist jedoch viel umfassender. Neben den Asanas (Yoga-Stellungen) umfasst es Pranayama (Atemtechniken) und oft auch Meditation.

Der körperliche Aspekt von Yoga ist wichtig und ein guter Zugang zu dieser jahrtausendealten indischen Tradition. Die renommierte deutsche Iyengar-Yogalehrerin Rita Keller sagt: „Yoga erlaubt uns, über unseren Körper unseren Geist zu schulen.“ B.K.S. Iyengar, einer der wichtigsten Yogameister unserer Zeit, bezeichnete seine Asanapraxis als „aktive Meditation“.

Iyengar-Yoga zeichnet sich durch die präzise Ausrichtung des Körpers in den Stellungen aus. Das Verweilen in einem Asana und das Arbeiten mit Armen, Beinen, Füssen, Muskeln, Knochen, Organen und schliesslich sogar mit der Haut erfordert viel Konzentration und macht es praktisch unmöglich, mit den Gedanken abzuschweifen. Wenn ich den Ballen der grossen Zehe in den Boden pressen muss, damit ich die Balance halten kann, habe ich schlicht keine Zeit, im Kopf eine Einkaufsliste fürs Abendessen zu erstellen. Die Konzentration auf eine Sache führt zu einer Beruhigung des Nervensystems und des Geistes – das haben zahlreiche wissenschaftliche Studien belegt. Deshalb geht man nach einer guten Yogastunde entspannt und gelassener in den Alltag zurück.

Für die meisten Menschen ist es schwierig, sich einfach hinzusetzen und zu meditieren. Anstatt in die Stille einzutauchen und die Gedanken wie Wolken vorbeiziehen zu lassen, springen diese Gedanken in unserem Kopf herum wie eine wilde Affenhorde. Da kommt Yoga gelegen: Durch das Praktizieren verschiedener Stellungen ist der Geist  beschäftigt, fokussiert. Dabei geht es nicht darum, sich möglichst spektakulär zu verrenken, sondern genau das zu tun, was möglich ist – egal, welche körperlichen Voraussetzungen man mitbringt.

Es braucht keine spektakulären Verrenkungen – jeder soll das tun, was seinen körperlichen Voraussetzungen entspricht.

Prashant Iyengar, der Sohn von B.K.S. Iyengar und selber hoch geschätzter Yogalehrer, hat kürzlich gesagt: „Es geht im Yoga nicht darum, möglichst weit zu kommen, sondern möglichst tief zu gehen. Dazu reicht es, eine einzige Yogastellung immer wieder zu praktizieren.“

Yoga bedeutet Vereinigung von Körper und Geist. Wenn man es nicht einfach auf Fitness, Akrobatik oder die Dehnung von  Muskeln beschränkt, sondern sich auf diese  Definition besinnt, kommt man dem auf die Spur, was Yoga in seinem Wesen ausmacht. Es reicht schon, sich der Atmung in den verschiedenen Stellungen bewusst zu werden. In jedem Asana gibt es Körperstellen, in denen die Atmung stockt. Wenn man das auf der Yogamatte erkundet, kann man diese Beobachtung früher oder später auch in den Alltag übertragen. Man merkt, wenn man oberflächlich atmet oder wenn einem in einer Stresssituation der Atem stockt, und kann bewusst ein- und ausatmen und sich damit schnell und unkompliziert ins Jetzt holen und die Nerven beruhigen. Oder bewusst den Boden unter den Füssen wahrnehmen, wie man das jedes Mal tut, wenn man Yoga praktiziert.

Es sind diese kleinen, scheinbar unspektakulären Dinge, die unser Leben besser, oder in Stings Worten „erfüllter“ machen. Yoga ermöglicht uns, unseren Körper wieder wahrzunehmen, und zwar nicht erst dann, wenn er schmerzt. Dazu braucht es regelmässiges Üben. Wie Pattabhi Jois, der Begründer des Ashtanga-Yoga, gesagt hat: „Übe, und alles andere kommt von selbst.“